Aktuelles

Schriftenverzeichnis

Rezensionen

Biographisches

Kontakt

Startseite

 

zurück

 

Rezension aus: Historische Zeitschrift Band 272, 2001, S. 776-777

Das Großherzogtum Berg ist von der deutschen Geschichtswissenschaft stiefmütterlich behandelt worden. Noch immer fehlt es an einer Gesamtdarstellung, die dem Stand der modernen Forschung entspricht. Das Versäumnis liegt kaum in der Kurzlebigkeit dieses napoleonischen Modellstaats begründet. Beim Königreich Westfalen jedenfalls spielte sie, wie die umfangreichen Arbeiten von Arthur Kleinschmidt (1993) und Friedrich Thimme (1893/95) zeigen, keine Rolle. Entscheidend war jedoch die Quellenlage. Lagerten die Zentralakten des westfälischen Staates in deutschen Archiven, befanden sich die des unmittelbar vom französischen Kaiser regierten Großherzogtums Berg in Paris. Hierauf ist es zurückzuführen, daß nicht ein deutscher Historiker, sondern der französische Archivar Charles Schmidt die erste und bisher einzige Monographie über das Großherzogtum verfaßt hat. Seine äußerst gelehrte und faktengesättigte Abhandlung erschien im Jahre 1905 unter dem Titel „Le Grand-Duché de Berg (1806-1813). Etude sur la Domination Française en Allemagne sous Napoléon I er“. Ausgehend von der Staatsgründung und dem Staatsaufbau befaßte sich die Darstellung zuerst mit der Verwaltung in Paris und Düsseldorf, dem Verwaltungssystem sowie dem Finanz- und Militärwesen, räumte dann den Reformen der Agrarverfassung, des Rechtssystems und der Bildungsinstitutionen breiten Platz ein, um sich schließlich der Kontinentalsperre und ihrem Einfluß auf die Industrie des Großherzogtums zuzuwenden. Die Interpretation trug deutlich liberal-demokratische und französisch-patriotische Züge. Bei aller Kritik an der kaiserlichen Eroberungspolitik, die den militärischen und wirtschaftlichen Interessen Frankreichs Vorrang gab, betonte Charles Schmidt doch den reformerischen Charakter der napoleonischen Herrschaft.

Charles Schmidts Studie über das Großherzogtum Berg gilt bis heute als Standardwerk, das allerdings über einen nur kleinen Kreis von Fachleuten hinaus keine breite Rezeption fand. Mögen anfangs politische Gründe eine Rolle gespielt haben, verhinderte später die Sprachbarriere die Verbreitung des in deutschen Bibliotheken nur selten vorhandenen Buches. Die nach vergeblichen Anläufen nun endlich vorgelegte deutschsprachige Ausgabe soll den weitgehend ungeborgenen Wissensschatz für die rheinbündische Geschichte wie die rheinische und westfälische Landesgeschichte nutzbar machen. Hilfestellung bietet der umfangreiche Anhang, der neben einer Bibliographie zur Geschichte des Rheinbundes und des Großherzogtums Berg sowie einem Orts-, Personen- und Sachregister drei Beiträge enthält: Burkhard Dietz ordnet die Studie Charles Schmidts in den Kontext der französischen Historiographiegeschichte ein. Heinz-K. Junk gibt einen Überblick über die Verwaltung und Verwalter des Großherzogtums Herg. Jörg Engelbrecht beleuchtet die Probleme der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Großherzogtums Berg im Lichte der neuesten Forschung und stellt damit einerseits die Bedeutung der Studie von Charles Schmidt, andererseits aber auch ihre Defizite heraus. Vielleicht ist dies ein Ansporn für weitere Forschungen oder gar eine Herausforderung, der vor fast hundert Jahren veröffentlichten Gesamtdarstellung des Pariser Staatsarchivars eine den modernen Wissenschaftsansprüchen genügende Monographie aus der Feder eines deutschen Historikers folgen zu lassen.

Helmut Berding, Gießen

 

Startseite

zurück

nach oben

Impressum | Datenschutz